Bahn frei für Übermorgengestalter – 5 Fragen an Anne Schüller.

Anne Schüller
#Erfolg, #Mindset

Was braucht es, um für die Zukunft gut gerüstet zu sein? Mut, Kreativität und Freiraum zum Experimentieren, sagt die Managementdenkerin und Businessphilosophin Anne Schüller. Wie ein Unternehmen, aber auch jeder Einzelne von uns diese Fähigkeiten erlernen und die Zukunft selbst gestalten kann, das verrät uns Anne Schüller im Interview.

Liebe Frau Schüller, was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Skills, die Unternehmen benötigen, um für die Zukunft gerüstet zu sein?

Anne Schüller: Die ganz großen Zukunftsskills eines Unternehmens sind Transformationsbereitschaft, Innovationsfähigkeit und Kundenzentrierung. Darunter gruppieren sich 25 weitere Skills, die ich in „Bahn frei für Übermorgengestalter“ ausführlich beschrieben habe. Hierbei unterscheide ich zwischen den zukunftsrelevanten Skills der Individuen, der Teams und der Organisation als Ganzes.

Bei den Future Skills eines Individuums sehe ich neben Mut und Selbstreflexion vor allem die Übermorgengestalterkompetenz. 

Denn operative Veränderungsprozesse werden in Zukunft immer öfter aus der Mitte der Unternehmen heraus initiiert, also nicht mehr „von oben“ aus angewiesen. Die Mitarbeitenden wissen doch meist selbst am besten, was zu tun ist, um sich von veralteten Vorgehensweisen zu lösen und frisches, vorausschauend Neues in Angriff zu nehmen. Gleich zu Beginn des Buchs zeige ich deshalb die zehn notwendigen Schritte, damit solche Vorstöße tatsächlich fruchten und zu einer Erfolgsstory werden.

Warum sind diese Skills so entscheidend, um fortan erfolgreich zu sein?

Anne Schüller: Innovationen sind der Umsatz von übermorgen. Es braucht agile organisationale Strukturen, eine Menge Ausgangsideen und talentierte Übermorgengestalter, um genug Neues startklar in der Pipeline zu haben, wenn die alten Lösungen es nicht mehr bringen. Schließlich muss es gelingen, sich so aufzustellen, dass die zunehmend fordernden Kunden die gefundenen Lösungen tatsächlich kaufen.

Was kann ich selbst tun, um mir diese Zukunftsfähigkeiten anzueignen, kann man das üben?

Anne Schüller: Jeder kann Initiativen ergreifen, die das Leben lebenswerter machen, die Arbeit befruchten, drängende gesellschaftliche Probleme lösen. Selbst durch den kleinsten Anstoß kann eine Zukunft entstehen, die wir haben wollen.

So war es zum Beispiel bei der Initiative „Gerne per Du“. Sie begann damit, dass jemand diese drei inspirierenden Worte unter seine E-Mail-Signatur setzte und als Hashtag benutzte. Dieser minimale erste Schritt hat ganze Unternehmenskulturen verändert.

Die wichtigste Aufgabe einer Company, die den Sprung nach vorn schaffen will, ist dann die, derart vielversprechende Vorstöße ihrer Innovatoren nicht zu verhindern. Neues kann ja nur dort entstehen, wo es den passenden Nährboden gibt: die Erlaubnis zum Widerspruch, ein freizügiges Teilen guter Ideen, eine ergebnisoffene Lernkultur sowie Freiraum zum Experimentieren. Und ja, man muss üben, um zu brillieren.

Gib Menschen Gestaltungsraum, und sie werden dich in Staunen versetzen. In positives Staunen. Wir wollen nicht verändert werden, wir wollen verändern. Freiwilligkeit ist die wichtigste Zutat für Antrieb und Umschwung. Dann tun wir etwas nicht, weil wir es müssen, sondern deshalb, weil wir es wirklich wollen. Was wir selbst erschaffen haben, lassen wir nicht mehr im Stich. Ich nenne das den „Mein-Baby-Effekt“.

Mitarbeitende geben ihre Gedanken aber nur dann preis, wenn sie glauben, dass diese Wertschätzung erfahren. Und wenn sie wissen, dass Fehler kein Beinbruch sind. Denn Fehler sind der Preis für Evolution und Innovation. Fehler machen bedeutet: Üben, um siegen zu lernen. „Wenn wir nicht genügend Fehler machen, heißt das, dass wir nicht genügend neue Dinge ausprobieren“, sagt Philip Knight, Gründer der Lifestyle-Marke Nike. So können bahnbrechende Erfolge gelingen. „Just do it“ beginnt eben damit, sich gemeinsam zu trauen, etwas zu wagen – auch ohne explizit um Erlaubnis zu fragen.

Woran erkenne ich eigentlich, ob ein Unternehmen Lust auf Übermorgengestalter hat?

Anne Schüller:  Stellenanzeigen gaukeln einem gern etwas vor. Insofern fragt man am besten Mitarbeitende im jeweiligen Unternehmen, wieviel Neudenken und Andersmachen dort tatsächlich willkommen ist. Augen auf auch im Bewerbungsprozess. Werden standardisierte Gespräche geführt, wird wahrscheinlich nach Menschen gesucht, die sich an Vorgaben halten – die so wichtigen Freigeister, Andersdenker und Zukunftsmacher hingegen wohl eher nicht. Wie schade!

Fortan sollte nicht der (vermeintlich) Bestqualifizierte, sondern der Veränderungswilligste eine Chance erhalten. Und nicht die Anfangsausbildung sollte entscheidend sein, sondern vielmehr, wie schnell jemand Neues lernen kann und will. Würden die Unternehmen sich mehr für Change Maker öffnen, gelänge ihnen der Sprung in die Zukunft unglaublich leicht.

Und zuletzt, können Sie uns ein Beispiel geben, wie das in der Unternehmenspraxis aussehen könnte?

Anne Schüller: Als vor Jahren enthusiastische Entwickler bei Atari begannen, Videospiele zu konzipieren, war die Weisung aus der Chefetage deutlich und klar: „Es gibt keinen Markt für diese Spiele. Atari ist nicht daran interessiert, Spiele für Computer zu produzieren.“ Einem der Software-Ingenieure, der an Star Raiders arbeiten wollte, sagte ein Spitzenmanager: „Ein Spiel, bei dem man im Weltraum herumfliegt und andere Raumschiffe abschießt? Das ist die dümmste Idee, die uns je untergekommen ist. Schreiben Sie das Projekt ab!“

Star Raiders ist nur deshalb fertiggeworden, weil der Entwickler vorgab, sich um die regulären Atari-Programme zu kümmern – und weil sein direkter Vorgesetzter ihn schützte. Das Spiel wurde zu einem Verkaufsschlager, gilt als Klassiker der Videospielgeschichte und wurde von der Stanford University zu einem der zehn wichtigsten Computerspiele aller Zeiten gekürt.

Und dies ist nur eine Story von vielen. Im Buch nenne ich weit über 100 Aktionsbeispiele und Tools, die zeigen, wie man das Übermorgengestalten anpacken kann. Dabei favorisiere ich Quick Wins.

Nach dem Motto „Start small, but start“ geht es vor allem um rasch umsetzbare, praxisnahe Maßnahmen, die mithilfe der Mitarbeiter:innen überholte Bürokratie abbauen, Prozesse agilisieren, neue Ideen produzieren und Innovationsprozesse beflügeln. Denn je kleiner die zu ändernde Einheit, desto leichter kann sie umgesetzt werden. Und je mehr kluge Köpfe man selbstorganisiert machen lässt, desto schneller bewegt sich was. So erzeugt man eine fortwährende Selbsterneuerung in überschaubaren Schritten – gekoppelt an rasche Erfolge, die wiederum alle beflügeln. 

Vielen herzlichen Dank, liebe Frau Schüller, für dieses spannende Interview.

 

About: Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Von Linkedin wurde sie zur Top-Voice 2017 und 2018 sowie von Xing zum Spitzenwriter 2018 und zur Top Mind 2020 gekürt. Ihr Buch „Die Orbit-Organisation“ wurde Finalist beim International Book Award 2019. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. Kontakt: www.anneschueller.de .